Dmitrij Kapitelman, 1986 in Kiew geboren, hat mit seinen ersten drei autobiografischen Romanen ein einzigartiges Vademekum für die Suche nach Identität geschaffen. Als Kind emigrierte er mit seiner Familie nach Deutschland, wo sie zunächst in einem Asylbewerberheim lebten und später ein Lebensmittelgeschäft mit osteuropäischen Spezialitäten in Leipzig betrieben. Kapitelmans literarisches Debüt, „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“, thematisiert eine Reise, die er mit seinem jüdischen Vater nach Israel unternimmt, um seine eigene Identität zu erkunden. In seinem zweiten Roman „Eine Formalie in Kiew“ wird ein Ukrainer, der die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebt, von seiner deutschen Sachbearbeiterin mit einem notwendigen Formular zurück nach Kiew geschickt. Sein dritter Roman, „Russische Spezialitäten“, beschreibt die Entfremdung von seiner Mutter, die der russischen Propaganda verfallen ist und in der der Autor die Kälte des Krieges spürt, die von der Autorität des Kremls ausgeht.
In der Tiefe und Flug zum Titan / Eine Herberge der Hölle / Freddie Funks verrückte Meerjungfrau von H.G. Wells, Stanley G. Weinbaum, Arthur Leo Zagat, Leroy Yerxa
Die Titel-Geschichte „In the Abyss (In der Tiefe)“ stammt vom englischen Schriftsteller H. G. Wells. Sie beschreibt eine Reise des Forschers Elstead zum Meeresgrund. Dieser hat einen Apparat erfunden, mit dem eine Person in große Tiefen vordringen und das Leben auf dem Meeresgrund beobachten kann. Es handelt sich um eine Stahlkugel mit einem Durchmesser von etwa neun Fuß, die einem immensen Druck standhalten soll. Gewichte, die mit einem Kabel an der Kugel befestigt sind, bringen sie auf den Meeresgrund. Der Forscher kann seine Beobachtungen durch das Fenster in der Kugel machen, wobei der Sauerstoff im Inneren durch einen fiktiven „Myers-Apparat“ ersetzt wird. Ein Mechanismus schneidet das Kabel nach einer bestimmten Zeit durch, und der Auftrieb der Kugel bringt sie wieder an die Oberfläche.
Die Kugel kehrt nicht planmäßig zurück. Während die Schiffsoffiziere warten, „stand die Dezembersonne hoch am Himmel, und die Hitze war sehr beträchtlich“. Um Mitternacht befürchten sie das Schlimmste …
Insgesamt vier erstaunliche Geschichten von den großen Pionieren der modernen Fantasy, Mystery und Science-Fiction-Literatur in neuer Übersetzung, die es wert sind zu lesen.
Liebesbeziehungen und deren Störungen
Um einen Menschen ganz kennenzulernen, ist es notwendig, ihn auch in seinen Liebesbeziehungen zu verstehen … Wir müssen von ihm aussagen können, ob er sich in Angelegenheiten der Liebe richtig oder unrichtig verhält, wir müssen feststellen können, warum er in einem Fall geeignet, im anderen Falle ungeeignet ist oder sein würde.
Wenn man außerdem bedenkt, dass von der Lösung des Liebes- und Eheproblems vielleicht der größte Teil des menschlichen Glücks abhängig ist, wird uns sofort klar, dass wir eine Summe der allerschwerstwiegenden Fragen vor uns haben, die den Gegenstand dieses Buches bilden.
Sternengezeugt
In ‚Sternengezeugt‘ befasst sich der Autor H.G. Wells erneut mit der Idee der Existenz von Außerirdischen, über die er in dem Roman ‚Krieg der Welten‘ bereits geschrieben hatte. Es entsteht der Verdacht, dass die Außerirdischen zurückgekehrt sein könnten – diesmal unter Verwendung kosmischer Strahlung, um menschliche Chromosomen durch Mutationen zu verändern und um die Spezies ihres eigenen sterbenden Planeten zu ersetzen.
Der Protagonist Joseph Davis, ein Autor populärer Geschichtsbücher, ist von den Gerüchten über den Plan der Außerirdischen, die er für Marsmenschen hält, extrem besessen. Er erwägt die Möglichkeit, dass Mutationen schon stattgefunden haben könnten und dass sein Kind, seine Frau und sogar er selbst bereits Marsmenschen sind. Der ironische und oft komische Roman ‚Sternengezeugt‘ schildert Entdeckungen in der Evolutionsbiologie und entwirft eine beeindruckende Zukunftsvision eines durch Genmanipulation optimierten Menschen.
Ein fantastisches Buch, das nicht nur Fans der Fantasy begeistert.
Kapitelmans Werke thematisieren nicht nur das Judentum und den Antisemitismus, sondern auch den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, den Wert von Freiheit, das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland und die Erschütterung demokratischer Werte. Seine Romane bieten eine präzise Analyse der Gesellschaft, indem sie die tief verwurzelten Konflikte der Gegenwart aufgreifen und die erschreckende Spaltung der Gesellschaft sowie die zunehmend schwierige Suche nach einem Gefühl von Zugehörigkeit thematisieren. Kapitelman beschreibt seine eigene Lage als eine Art von Entfremdung: Er fühlt sich „wie ein Fremder in unserem Familienbetrieb“ und stellt die Frage nach seinem Platz in der Gesellschaft. Die Fremdheit in Deutschland empfindet er als besonders stark, während er die Ukraine ebenfalls als „heimische Fremde“ betrachtet.
In seinem Werk reflektiert Kapitelman die Angst vor der ansteigenden Gewalt und den politischen Umwälzungen. In „Eine Formalie in Kiew“ erklärt er: „Solange die Faschisten mich nicht mit dem Eispickel jagen, kann ich Deutschland jedenfalls nicht einfach so zurücklassen, liebe Landsleute.“ Diese Ängste und Unsicherheiten sind weit verbreitet; viele Menschen fühlen sich in ihrer Identität bedroht und suchen verzweifelt nach Stabilität. Kapitelmans Bücher sind daher von großem Interesse, zumal sein Roman „Russische Spezialitäten“ für den Deutschen Buchpreis 2025 nominiert wurde – in einem Jahr, das von Unsicherheit geprägt ist.
Ein besonderes Ereignis fand am 21. August 2025 in der überfüllten Jüdischen Gemeinde Wiesbaden statt, wo Kapitelman aus seinen Werken las. Die Veranstaltung war von Polizeischutz begleitet, was die Gefahren, denen jüdisches Leben in Deutschland ausgesetzt ist, verdeutlicht. Kapitelman nutzte die Gelegenheit, um über die Geschichte der Synagoge zu sprechen, die während der Novemberpogrome 1938 angegriffen, jedoch nicht vollständig zerstört wurde. Während seiner Lesung las er eine eindringliche Passage, in der der Erzähler in einem Bombenbunker ausharrt und die Schrecken des Krieges erlebt. Die Reaktion des Publikums, das trotz der ernsten Thematik über bestimmte Passagen lachte, zeigt, wie Humor und Absurdität in der Literatur helfen können, mit der Realität umzugehen.
Kapitelmans Schriften sind geprägt von einer klaren, pointierten Sprache, die es ihm ermöglicht, die Absurditäten der gegenwärtigen Lage zu beleuchten. Er berichtet von den verheerenden Auswirkungen des Krieges, nicht nur an der Front, sondern auch im alltäglichen Leben. Seine Darstellung der Ukraine ist eindringlich und emotional, wobei er die Zerrissenheit und das Leiden der Menschen thematisiert. Kapitelman versteht es, die Leser mit seinen Geschichten zu berühren und sie zum Nachdenken über die komplexen Themen Identität, Zugehörigkeit und die Herausforderungen der Gegenwart anzuregen.
In einer Zeit der Desinformation und des Rückgangs des öffentlichen Interesses an wichtigen Themen, wie dem Krieg in der Ukraine, setzt Kapitelman mit seinen Arbeiten einen Kontrapunkt. Seine Romane und Reportagen sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch wichtig für das kollektive Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in einer sich ständig verändernden Welt. Durch seine Erzählungen lädt er die Leser ein, sich mit den Herausforderungen der Gegenwart auseinanderz