In seinen neuesten Erzählungen, die unter dem Titel „Auf ganz dünnem Eis“ veröffentlicht wurden, zeigt Peter Stamm einmal mehr seine Fähigkeit, das Alltägliche in etwas Tiefergehendes zu verwandeln. Der Schweizer Autor, der in Winterthur lebt, hat sich in der deutschsprachigen Literatur einen Namen gemacht, indem er die feinen Nuancen menschlicher Beziehungen und die oftmals unerklärlichen Beweggründe seiner Charaktere beleuchtet. In einem Interview äußerte er, dass ihm das Tragische besser gefalle als das Komische, da es eine tiefere Nähe ermögliche. Diese Sichtweise spiegelt sich in den neun Geschichten seines neuen Werkes wider, die in ihrer Konzeption eher der Kammermusik als der Sinfonie ähneln – eine konzentrierte Form, in der jeder Satz und jede Stille von Bedeutung ist.
Stamm, der bereits mit seinem Roman „In einer dunkelblauen Stunde“ (2023) von gescheiterten Träumen und der Komplexität des kreativen Schaffens erzählte, bleibt auch in seinen Erzählungen bei seiner Vorliebe für das Unausgesprochene. Diese Geschichten sind nicht nur Erzählungen, sie sind vielmehr Einblicke in die Seelen seiner Figuren, die oft an der Grenze zwischen Nähe und Distanz balancieren. Die Charaktere, die sich in ihren gewohnten Lebensumständen bewegen, werden von unerfüllten Sehnsüchten und einer fundamentalen Sprachlosigkeit geprägt, die beim Leser ein Gefühl der Melancholie hinterlässt.
Eine der zentralen Figuren in diesen Erzählungen ist Laurin, der in einem Kellerverschlag sitzt und sich in seiner Isolation als Astronaut imaginiert. Solche surrealen Momente sind in Stamms Erzählungen nicht ungewöhnlich. Sie verdeutlichen, wie Menschen in ihrer Einsamkeit nach Fluchtorten suchen, um der Realität zu entkommen. In einer anderen Geschichte begegnet ein Skilehrer im Ruhrgebiet der Niederländerin Lieke, und ihre Beziehung entwickelt sich über Handynachrichten, selbst wenn sie physisch in direkter Nähe zueinander sitzen. Diese Art der Kommunikation verdeutlicht, wie sehr die traditionelle zwischenmenschliche Interaktion in der heutigen Zeit oft durch digitale Medien ersetzt wird, was die Einsamkeit der Protagonisten nur noch verstärkt.
Die Titelgeschichte, die von der Schauspielerin Sarah handelt, die immer mehr in den Strudel ihrer Rollen und ihrer Realität hineingezogen wird, ist ein weiteres Beispiel für Stamms Fähigkeit, das Banale mit dem Tragischen zu verweben. Ihre Beziehung zu dem Medizinstudenten Jonas, die ebenfalls durch digitale Kommunikation geprägt ist, zeigt, wie Menschen trotz physischer Nähe emotional voneinander entfernt sein können. Diese Figuren sind nicht nur unglücklich, sondern sie verkörpern eine Art von Lebensfremdheit, die sie in ihrer Einsamkeit gefangen hält.
Stamm selbst beschreibt seine Erzählungen als eine Art Tagtraum, den er seinen Lesern ermöglichen möchte. Er strebt danach, dass die Leser beim Lesen der Geschichten die Welt um sich vergessen und in eine andere Dimension eintauchen. Dieses Ziel erreicht er durch seine präzise Sprache und den bewussten Einsatz von Auslassungen. Durch das Weglassen bestimmter Informationen schafft er Raum für die Imagination des Lesers und lässt Platz für eigene Interpretationen.
Die Erzählungen in „Auf ganz dünnem Eis“ sind geprägt von einem subtilen Knistern, das beim Lesen spürbar wird. Der Leser fühlt sich, als würde er auf einem schmalen Grat wandeln, wo jede Entscheidung und jede Handlung der Charaktere weitreichende Konsequenzen haben kann. Das macht das Lesen zu einem intensiven Erlebnis, das sowohl herausfordert als auch fesselt.
Insgesamt zeigt Peter Stamm in seinem neuen Werk eindrucksvoll, wie er mit literarischer Kammermusik die tiefen und oft komplizierten Emotionen des menschlichen Daseins in minimalistische Erzählungen verwandelt. Sein geschickter Umgang mit Sprache und Stille, sowie die Fähigkeit, das Unsichtbare sichtbar zu machen, machen „Auf ganz dünnem Eis“ zu einer lohnenswerten Lektüre für all jene, die sich auf eine emotionale Reise begeben möchten.






















































