Der amerikanische Schriftsteller John Irving hat mit seinem neuesten Roman „Königin Esther“ ein weitreichendes und komplexes Werk geschaffen, das von Massachusetts bis nach Jerusalem führt. Irvings Erzählstil ist in diesem Buch jedoch eher ausschweifend und an manchen Stellen zäh, was die Leser auf eine Geduldsprobe stellt. Der Autor, der in seiner Karriere bereits zahlreiche Bestseller verfasst hat, reflektiert in diesem Roman über Themen wie Identität, Antisemitismus und die Suche nach den eigenen Wurzeln.
In einem früheren Interview erklärte Irving, dass das Schreiben einfacher wird, wenn es die einzige berufliche Beschäftigung ist. Er betonte, dass sich das Schreiben mit dem Alter verändert, man anspruchsvoller und konzentrierter wird. Trotz seiner Erfolge – 15 Romane, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden – bleibt er mit seiner Wahrnehmung in den USA unzufrieden. Besonders bedauert er, dass Schriftsteller in seiner Heimat nicht die gleiche gesellschaftliche Relevanz haben wie in Europa, wo man von ihnen erwartet, dass sie eine klare Meinung zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen vertreten. Diese Frustration spiegelt sich möglicherweise auch in seinem neuesten Werk wider.
„Königin Esther“ beginnt mit dem Jahr 1629 und erstreckt sich über mehr als drei Jahrhunderte. Im Zentrum der Geschichte steht Esther Nacht, eine jüdische Waise, die in Wien geboren wurde. Ihre Mutter wird in den USA, nach der Emigration, von Antisemiten getötet. Esther wächst in einem Waisenhaus in Maine auf, das vielen Lesern von Irvings früheren Arbeiten bekannt ist. Die Erzählung ist geprägt von einer Vielzahl skurriler Charaktere und deren Schicksalen, die allesamt in die komplexe Familiengeschichte der Winslows verstrickt sind.
Die Figur der Esther tritt erst relativ spät in die Handlung ein, was die Leser zunächst dazu bringt, sich mit der Geschichte der Winslow-Familie auseinanderzusetzen. Diese Familie ist gebildet und hat ihre eigenen Geheimnisse, die nach und nach enthüllt werden. Esther, die als 14-Jährige in die Geschichte eintritt, ist ein selbstbewusster und reif wirkender Teenager, was sie sofort zu einer faszinierenden Figur macht. Ihre Beziehung zu ihrem Sohn Jimmy, der sich mit seiner eigenen Identität und den Konsequenzen seiner Herkunft auseinandersetzen muss, bildet einen weiteren zentralen Handlungsstrang.
Irvings Buch ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern behandelt auch die Themen jüdische Identität und Antisemitismus. In typischer Irving-Manier werden zahlreiche Elemente aus seinen vorhergehenden Romanen eingearbeitet, was den Leser manchmal das Gefühl gibt, er konsumiere eine Art „Best-of“ der Irving-Literatur. Die Erzählung ist gespickt mit Exkursen über Gott und die Welt, was dazu führt, dass die Leser häufig den roten Faden verlieren.
Die Kritik an „Königin Esther“ ist durchweg gemischt. Einige Rezensenten bemerken, dass die Erzählweise oft mehr an eine Enzyklopädie erinnert als an eine fesselnde Geschichte. Die „Washington Post“ kritisierte, dass es sich weniger um Storytelling handle, sondern vielmehr um eine Ansammlung von Informationen. Irving selbst betonte bei der Buchpremiere, dass die Handlung vor den aktuellen, politisch aufgeladenen Ereignissen im Nahen Osten spielt, was dem Buch eine zusätzliche Dimension verleihen sollte.
Dennoch bleibt die Erzählung in ihrer Ausführung oft zäh und ermüdend. Der Leser könnte sich fragen, ob das Buch in seiner Komplexität nicht mehr Verwirrung stiftet als Verständnis fördert. Am Ende des Romans treffen Esther und ihr Sohn in Israel aufeinander, was als eine Art Happy End interpretiert werden könnte, jedoch in einer Überfülle von Symbolik ertrinkt. Die Einflüsse der biblischen Königin Esther sind unverkennbar, doch bleibt die Frage, ob dies dem Werk wirklich dienlich ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass John Irvings „Königin Esther“ ein ehrgeiziger, aber auch herausfordernder Roman ist. Die Geschichte steckt voller thematischer Tiefe, jedoch könnte die ausschweifende Erzählweise für viele Leser eine Hürde darstellen. Irvings Versuch, komplexe Themen zu verknüpfen, führt nicht immer zu einem stimmigen und mitreißenden Leseerlebnis.




