Goethes Ankunft in Weimar: Ein Wendepunkt in der deutschen Literaturgeschichte**

Im Oktober 1775 wartete der 26-jährige Johann Wolfgang Goethe ungeduldig auf eine Kutsche, die ihn nach Weimar bringen sollte. Doch anstatt auf die verspätete Karosse zu warten, entschloss sich Goethe spontan, seine Reise nach Italien anzutreten. Auf dem Weg nach Heidelberg erreichte ihn schließlich eine Nachricht: Der junge Kammerherr von Kalb hatte die Kutsche in Frankfurt bereitgestellt. Trotz der Warnungen seines Vaters, der ihn eindringlich bat, sich nicht in den Dienst des Adels zu begeben, machte sich Goethe am 30. Oktober 1775 auf den Weg nach Weimar, begleitet von seinem Diener Philipp Seidel. Der Herzog Carl August, der erst 18 Jahre alt war und gerade die Herrschaft über das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach übernommen hatte, hatte den talentierten Dichter eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt war Goethe bereits durch seine Werke „Die Leiden des jungen Werther“ und „Götz von Berlichingen“ bekannt und galt als aufstrebende literarische Persönlichkeit.

Die kulturellen Wurzeln Weimars reichen bis zur Herzogin Anna Amalia zurück, die 1772 den bedeutenden Schriftsteller Christian Martin Wieland als Erzieher für ihren Sohn berufen hatte. Diese Entscheidung war grundlegend für die Entwicklung Weimars zu einem Zentrum der Kultur und Literatur. Das Herzogtum war jedoch wirtschaftlich angeschlagen, vor allem nach den Folgen des Siebenjährigen Krieges. Der Hof war prunkvoll, aber die Staatsfinanzen waren marode. Das Schloss war kürzlich abgebrannt, und die Herzogsfamilie lebte in einem heruntergekommenen Gebäude, während die Herzoginmutter in einem bescheidenen Palais residierte. Weimar selbst war eine kleine Stadt mit mittelalterlichem Charakter, nur etwa 600 Häuser zählend und mit einer Bevölkerung von rund 6.000 Einwohnern. Der Dichter Johann Gottfried Herder, der ein Jahr später nach Weimar ziehen sollte, beschrieb die Stadt als „Mittelding zwischen Dorf und Hofstadt“.

Goethe reiste auf der alten Handelsstraße von Frankfurt nach Leipzig, wobei Weimar abseits der Hauptverkehrswege lag, was die Anreise erschwerte. Schließlich traf er am 7. November 1775 in Weimar ein und wurde durch das Äußere Erfurter Tor in die Stadt geleitet. Die Ankunft des Frankfurter Bürgers in dieser kleinen Residenzstadt war ein prägender Moment, und die ersten Monate verbrachte er im Haus der Familie von Kalb. Ursprünglich hatte Goethe nur für einige Wochen bleiben wollen, um an Festlichkeiten zum Regierungsantritt des Herzoges teilzunehmen. Doch der Herzog erkannte bald Goethes Talente und setzte sich für ihn ein, sodass Goethe ein halbes Jahr später als Berater in seinen inneren Kreis aufgenommen wurde. Dies markierte den Beginn seiner politischen Karriere, die sich mit seiner literarischen Arbeit verband.

1779 wurde Goethe zum Minister ernannt und übernahm eine Vielzahl von Aufgaben, darunter die Sanierung des maroden Staatshaushalts und die Verwaltung der Universität in Jena sowie des Bergbaus in Ilmenau. Er wurde 1782 in den erblichen Adelsstand erhoben. Trotz seiner vielen Ämter schränkten diese Goethes schriftstellerische Tätigkeit erheblich ein. Seine heimliche Reise nach Italien zwischen 1786 und 1788 stellte einen Versuch dar, den administrativen Verpflichtungen zu entfliehen und sich wieder verstärkt der Dichtung zu widmen. Nach seiner Rückkehr konzentrierte sich Goethe erneut auf seine literarischen Arbeiten.

Der Autor Matthias Gretzschel hat das 250-jährige Jubiläum von Goethes Ankunft in Weimar zum Anlass genommen, eine detaillierte Untersuchung über Goethes Leben und Wirken in der Stadt zu verfassen. In seinem Buch „Weimar – auf den Spuren von Johann Wolfgang von Goethe“ beschreibt er die Umstände, die zu Goethes Einladung nach Weimar führten, und beleuchtet die kulturelle und gesellschaftliche Situation der Stadt im Jahr 1775. Darüber hinaus führt er den Leser zu verschiedenen Orten, die für Goethes Leben und Schaffen von Bedeutung waren, wie das Gartenhaus an der Ilm und das berühmte Haus am Frauenplan, wo Goethe fast fünf Jahrzehnte lebte.

Gretzschel thematisiert auch Goethes Beziehung zu Schiller, die anfangs von Rivalität geprägt war, sich jedoch zu einer tiefen Freundschaft entwickelte. Zudem werden wichtige Gedenkstätten und historische Orte in Weimar und Thüringen vorgestellt, ergänzt durch zahlreiche Abbildungen, die einen visuellen Einblick in Goethes Weimar ermöglichen. Mit einer Zeittafel