Gepäck der Gefühle – Valery Tscheplanowas eindringlicher Roman „Ist es Liebe“**

Valery Tscheplanowa entfaltet in ihrem neuen Roman „Ist es Liebe“ eine fesselnde Erzählung über die komplexe Realität einer unkonventionellen Partnerschaft. Im Mittelpunkt steht das Leben von Anne und Richard, deren unterschiedliche Hintergründe und Lebensumstände ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen. Tscheplanowa, die 1978 in Kasan, Russland, geboren wurde und im Alter von acht Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland kam, nutzt ihre eigenen Erfahrungen, um die Herausforderungen und Missverständnisse in der Liebe authentisch darzustellen.

Die Geschichte beginnt mit Anne, einer jungen Schauspielerin aus einer wohlhabenden Familie in Düsseldorf, die sich auf ihr erstes Engagement am Deutschen Theater in Berlin vorbereitet. In der U-Bahn trifft sie auf Richard, einen Flüchtling aus den Slums von Nairobi, der in einer Bäckerei arbeitet. Richard, dessen optimistische und unbeschwerte Art Anne sofort anspricht, bringt eine völlig andere Lebensrealität in die Beziehung ein. Die anfängliche Anziehung zwischen den beiden führt schnell zur Gründung eines gemeinsamen Haushalts in Neukölln, und bald ist Anne schwanger.

Tscheplanowa beschreibt, wie die anfängliche Verliebtheit und die „Schmetterlinge im Bauch“ schnell von den Herausforderungen des Alltags abgelöst werden. Anne findet sich plötzlich in der Rolle der Hauptverantwortlichen für Kind, Karriere und Haushalt wieder, während Richard sich in exzessiven Feiern verliert, die oft von Alkohol und Drogen begleitet sind. Diese Dynamik führt zu einer wachsenden Kluft zwischen den beiden, die durch ihre unterschiedlichen sozialen Hintergründe verstärkt wird. Richard ist in seiner Welt gefangen, während Anne versucht, die Brücke zwischen ihren Lebensrealitäten zu schlagen.

Die Autorin beleuchtet die inneren Kämpfe Annes, die unter einer Essstörung leidet, und schildert eindringlich ihre verzweifelten Versuche, die Beziehung aufrechtzuerhalten. Sie wird von ihrer Schwester Katharina gewarnt, dass sie die Unterschiede in ihrer Sozialisation nicht ignorieren kann. Katharina macht Anne deutlich, dass Richard sie möglicherweise ausnutzt, was Anne jedoch nicht wahrhaben will. Diese Warnungen scheinen im Vergleich zur Verliebtheit und den schönen Momenten, die sie mit Richard teilt, weit entfernt.

Ein zentrales Motiv des Romans ist das Gepäck, das jeder Mensch in eine Beziehung einbringt. Tscheplanowa verdeutlicht, dass jeder Partner seine eigenen Erfahrungen, Ängste und Unsicherheiten mitbringt, die die Dynamik der Beziehung beeinflussen können. Anne und Richard stehen vor der Herausforderung, ihre verschiedenen Lebensrealitäten zu verstehen und zu akzeptieren. Anne versucht, Richard zu helfen, seine Vergangenheit zu bewältigen, während sie gleichzeitig mit ihren eigenen Dämonen kämpft.

Die Darstellung der Beziehung zwischen Anne und Richard ist geprägt von einer rauen, unverblümten Ehrlichkeit. Tscheplanowa scheut sich nicht, die dunklen Seiten der Liebe zu zeigen und die Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung darzustellen. Die Leser werden Zeugen von Momenten, in denen die Beziehung an einem kritischen Punkt steht, und es ist oft ungewiss, ob die Liebe ausreicht, um die Herausforderungen zu überwinden.

Tscheplanowa gelingt es, die gesellschaftlichen Kontraste zwischen der wohlhabenden Lebensweise in Berlin und der Armut in Kibera, dem Slum von Nairobi, eindrucksvoll zu skizzieren. Diese Gegensätze dienen nicht nur als Kulisse, sondern als Ausdruck der inneren Konflikte der Protagonisten. Der Roman wirft Fragen auf, die über die persönliche Beziehung hinausgehen und gesellschaftliche Strukturen und Vorurteile thematisieren.

Insgesamt ist „Ist es Liebe“ ein eindringlicher und bewegender Roman, der die Höhen und Tiefen einer Beziehung meisterhaft einfängt. Valery Tscheplanowa hat mit diesem Werk ein tiefgründiges Porträt einer Partnerschaft geschaffen, die sowohl von Liebe als auch von Schmerz geprägt ist. Die Frage nach der Liebe bleibt offen, und das Fragezeichen im Titel spiegelt die Unsicherheit wider, die mit jeder Beziehung einhergeht.