Die Adaption literarischer Werke in Form von Graphic Novels ist stets ein heikles Unterfangen. Es besteht die Gefahr, dass die ursprüngliche Erzählung durch die visuelle Aufarbeitung nicht nur vereinfacht, sondern auch verfälscht wird. Dies geschieht nicht nur, weil die Lektüre des Textes die Wahrnehmung der Zeichnungen beeinflusst, sondern auch, weil der Leser möglicherweise von den Bildern abgelenkt wird, die die Vorstellungskraft der Literatur überlagern. Diese Problematik ist vergleichbar mit der Verfilmung von Büchern, bei denen oft die Visualisierung der Charaktere und Dialoge die literarische Imagination überlagert. Während ein Film durch bewegte Bilder eine eigene Dynamik entfalten kann, ist die Graphic Novel statischer und muss auf Einzelbilder zurückgreifen, was die Herausforderung verstärkt.
Sternengezeugt
In ‚Sternengezeugt‘ befasst sich der Autor H.G. Wells erneut mit der Idee der Existenz von Außerirdischen, über die er in dem Roman ‚Krieg der Welten‘ bereits geschrieben hatte. Es entsteht der Verdacht, dass die Außerirdischen zurückgekehrt sein könnten – diesmal unter Verwendung kosmischer Strahlung, um menschliche Chromosomen durch Mutationen zu verändern und um die Spezies ihres eigenen sterbenden Planeten zu ersetzen.
Der Protagonist Joseph Davis, ein Autor populärer Geschichtsbücher, ist von den Gerüchten über den Plan der Außerirdischen, die er für Marsmenschen hält, extrem besessen. Er erwägt die Möglichkeit, dass Mutationen schon stattgefunden haben könnten und dass sein Kind, seine Frau und sogar er selbst bereits Marsmenschen sind. Der ironische und oft komische Roman ‚Sternengezeugt‘ schildert Entdeckungen in der Evolutionsbiologie und entwirft eine beeindruckende Zukunftsvision eines durch Genmanipulation optimierten Menschen.
Ein fantastisches Buch, das nicht nur Fans der Fantasy begeistert.
In der jüngsten Adaptation von José-Louis Bocquet und Christian Cailleaux wird Georges Simenons Roman „Der Passagier der Polarlys“ neu erzählt. Ursprünglich 1932 veröffentlicht, bietet die Geschichte nicht nur einen spannenden Kriminalfall, sondern ist auch ein eindringliches Porträt des Lebens an Bord eines Schiffes, das den rauen Elementen des Winters trotzt. Im Zentrum der Erzählung stehen der Kapitän der Polarlys, der die Route von Hamburg nach Kirkenes bedient, und die unwirtliche See, die das Schiff und seine Passagiere bedroht.
Die Handlung beginnt in Hamburg, wo einige Passagiere, darunter die geheimnisvolle junge Deutsche Marie Baron – die vorgibt, nach Lappland zu reisen – und ein deutscher Kriminalrat, der wenig später tot aufgefunden wird, an Bord gehen. Die Umstände des Mordes sind rätselhaft, da ein weiterer Passagier, der als Hauptverdächtiger gilt, während der Reise verschwindet. Die Geschichte entfaltet sich vor dem Hintergrund der winterlichen See, die nicht nur physische Gefahren birgt, sondern auch die psychologischen Spannungen zwischen den Figuren verstärkt.
Bocquet und Cailleaux haben die Erzählung um einige Passagen erweitert, die das Leben in Paris zur Zeit der Weimarer Republik zeigen. Diese Einleitung, die den Fokus auf Marie Baron legt, bietet einen faszinierenden Einblick in die bohemischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Die Zeichnungen von Cailleaux fangen die Atmosphäre des Pariser Lebens eindrucksvoll ein und stellen die junge Verkäuferin dar, die sich in die gefährlichen Kreise der Großstadt begibt. Diese Einführung hebt die Graphic Novel deutlich hervor und gibt ihr eine zusätzliche Dimension, die die Leser in die Geschichte hineinzieht.
Allerdings zeigt sich im weiteren Verlauf der Geschichte an Bord der Polarlys, dass die anfängliche Stärke der Erzählung nicht durchgängig gehalten werden kann. Die dynamische und lebendige Atmosphäre, die der Roman durch Simenons prägnante Prosa erzeugt, geht teilweise verloren. Die statischen Bilder und die begrenzte Interaktion der Charaktere auf dem Schiff lassen den Spannungsbogen abflachen. Während die Zeichnungen die Faszination der Charaktere, insbesondere von Marie Baron, festhalten, fehlt es an der emotionalen Tiefe, die Simenon in seinen Schilderungen meisterhaft vermittelt.
Die Graphic Novel greift zwar auf die spannende Grundstruktur des Originals zurück, kann jedoch nicht die gleiche Intensität erzeugen. Die Dialoge und die visuellen Darstellungen scheinen manchmal nicht zu genügen, um den Leser in den Bann zu ziehen. An Stellen, an denen die Erzählung an Schwung verliert, werden zusätzlich Textpassagen eingefügt, die versuchen, die Spannung aufrechtzuerhalten, jedoch oft nicht erfolgreich sind.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Adaptation von „Der Passagier der Polarlys“ durch Bocquet und Cailleaux zwar die Stärken des Originals aufgreift, jedoch in der grafischen Umsetzung nicht die gleiche Wirkung entfalten kann. Leser, die mit der Graphic Novel beginnen, könnten das Gefühl haben, dass sie den Reiz und die Finesse der literarischen Vorlage vermissen. Dennoch bietet die Neuinterpretation einen interessanten Zugang zu Simenons Werk, vor allem für die, die sich für die Verbindung von Bild und Text interessieren. Die Graphic Novel ist somit eine gelungene, jedoch nicht durchgängig überzeugende Hommage an einen Klassiker der Literatur.