Der Roman „Vaim“ des norwegischen Nobelpreisträgers Jon Fosse stellt eine eindrückliche und zugleich herausfordernde literarische Erfahrung dar. Fosse, der 1959 in Haugesund geboren wurde, ist bekannt für seine markanten Theaterstücke und Prosa, die oft die Grenzen des Sagbaren erkunden. Seine Werke haben ihm eine Vielzahl von Auszeichnungen eingebracht, nicht zuletzt den Literatur-Nobelpreis, den er im Jahr 2021 erhielt – eine Entscheidung, die einige überraschte, da viele auf Karl Ove Knausgård als Favoriten gesetzt hatten. Fosses Schaffensprozess zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Hingabe an Rhythmus und Sprachfluss aus, was in „Vaim“ besonders deutlich wird.
In „Vaim“, dem ersten Teil einer geplanten Trilogie, wird die Geschichte von drei Männern erzählt, die auf unterschiedliche Weise mit der zentralen Figur Eline verbunden sind. Der Roman entfaltet sich durch die Perspektiven der drei männlichen Erzähler, die jeweils ein eigenes Kapitel erhalten. Jatgeir, der erste Ich-Erzähler, lebt als einsamer Fischer in einem abgelegenen Dorf, das dem fiktiven Ort Vaim nachempfunden ist. Er ist eine passive Figur, die in ihrem ruhigen Leben Rückschläge mit stoischer Gelassenheit hinnimmt. Eline, seine Jugendliebe, spielt in seinen Erinnerungen eine tragende Rolle und wird zum Symbol für unerfüllte Sehnsüchte und verlorene Träume.
Der zweite Erzähler, Elias, ist Jatgeirs bester Freund. Er wird von Geistern heimgesucht, die an seine Tür klopfen, was andeutet, dass die Vergangenheit ihn nicht loslässt. Die dritte männliche Figur ist Frank, Elines Ehemann, der am Ende des Romans der einzige Überlebende der männlichen Protagonisten bleibt. Diese Konstellation beleuchtet die komplexen Beziehungen zwischen den Männern und Eline, die letztlich eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielt.
Vaim, als ein Ort der Identität und Heimat, spiegelt Fosses eigene Vorliebe für die norwegische Natur wider. Er besitzt selbst ein Haus an einem Fjord und hat ein tiefes Verständnis für die Einsamkeit und den Rückzug, die diese Umgebung mit sich bringt. Diese Atmosphäre wird in der Erzählung lebendig, als Jatgeir zu Beginn des Buches mit seinem Boot über den Fjord in eine Stadt fährt, die an Bergen erinnert. Dort wird er jedoch betrogen, was die Absurdität und Entfremdung der modernen Welt unterstreicht. Die Prekarität seines Lebens wird durch diese Episode verstärkt, da er sich nicht gegen die Ungerechtigkeit wehrt.
Die Rückkehr nach Vaim, wo Jatgeir auf Eline trifft, die mit gepackten Koffern auf ihn wartet, verwandelt sein Leben schlagartig. Ihre Rückkehr ist sowohl märchenhaft als auch beunruhigend. Eline, die nun die Kontrolle in der Beziehung übernimmt, konfrontiert die Männer mit ihren eigenen Wünschen und Ängsten. Ihre Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und der Wunsch, ihre Lebensumstände zu ändern, stehen in starkem Kontrast zu den gläubigen und traditionell gebundenen Menschen in Vaim. Diese Dynamik erzeugt Spannungen, die die Männer zu reflektieren zwingen und sie in ihrer Männlichkeit herausfordern.
Fosse spielt auch mit den Namen seiner Charaktere, was eine tiefere Identitätsfrage aufwirft. Jatgeir, dessen eigentlicher Name Geir ist, und Eline, die tatsächlich Josefine heißt, zeigen, dass Namen mehr sind als nur Bezeichnungen; sie können auch neue Identitäten schaffen. Diese Spielerei mit Identitäten und den damit verbundenen Erwartungen ist ein zentraler Themenkomplex in Fosses Werk.
Ein bemerkenswerter Aspekt von „Vaim“ ist die einzigartige Erzählweise. Der Roman kommt ohne jegliche Satzzeichen aus, was den Eindruck eines ununterbrochenen, fließenden Gedankenstroms erweckt. Diese stilistische Entscheidung verstärkt die emotionale Intensität des Textes und lässt den Leser in die Gedankenwelt der Protagonisten eintauchen. Olav, der überlebende Charakter, bemerkt am Ende: „Alles war wundersam“, was die Verwirrung und die tiefen, oft widersprüchlichen Emotionen widerspiegelt, die Fosses Werk durchziehen.
Insgesamt ist „Vaim“ kein Buch für eine flüchtige Lektüre. Es fordert den Leser heraus, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen und tief in die Psyche der Charaktere einzutauchen. Foss





