Die tschechische Poesie als Lebensquelle – Eine Hommage an Reiner und Elisabeth Kunze**

Der bildreiche und liebevoll gestaltete Text-Bild-Band „Ich habe die tschechische Sprache geheiratet“ beleuchtet den deutsch-tschechischen Hintergrund des bekannten Schriftstellers Reiner Kunze und seiner Frau Elisabeth. In der heutigen Zeit, in der der poetische Ausdruck in der Gesellschaft eine Rückbesinnung erfährt, ist es besonders wertvoll, die Verbindungen zwischen Kulturen und Sprachen zu erkunden.

Reiner Kunze, ein renommierter Dichter, war bereits in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland ein geschätzter Autor, als er 1977 mit seiner Frau Elisabeth, die tschechische Wurzeln hat, von der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte. Diese Entscheidung stellte nicht nur einen Wendepunkt in ihrem Leben dar, sondern auch in der literarischen Landschaft beider Länder. Kunze, der mittlerweile über neunzig Jahre alt ist, hat sich durch sein umfangreiches Werk und seine Erfahrungen als Zeitzeuge einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte erobert. In Anbetracht der aktuellen geopolitischen Spannungen, insbesondere der russischen Aggression gegen die Ukraine, gewinnen seine Erfahrungen und Einsichten an Bedeutung und Aktualität.

Die „Reiner und Elisabeth Kunze Stiftung“ in Passau hat anlässlich des bevorstehenden 90. Geburtstags des Paares eine Ausstellung zum literarischen Schaffen Reiner Kunzes initiiert. Ein zentrales Element dieser Ausstellung ist die Verbindung zur tschechischen Literatur, die durch die Beziehung zu Elisabeth (geborene Mifková) entstanden ist. Ihre Bekanntschaft begann, als Elisabeth, die Reiner Kunzes Gedichte im Radio hörte, den Kontakt zu ihm suchte. Durch einen intensiven Austausch von Briefen verliebten sich die beiden und schließlich bat Kunze um ihre Hand. Diese Verbindung zur tschechischen Sprache und Literatur öffnete Kunze die Türen zu einer neuen poetischen Welt, die seinen eigenen Stil nachhaltig beeinflusste. Er erkannte, wie tief und vielschichtig die tschechische Poesie ist, und beschrieb die Erfahrung als einen „augenöffnenden“ Moment in seiner Entwicklung als Schriftsteller.

Dank seiner Frau und dieser neuen Perspektive begann Kunze, tschechische Dichter ins Deutsche zu übersetzen, was nicht nur seine eigene Arbeit bereicherte, sondern auch das Werk vieler seiner tschechischen Kollegen einem breiteren Publikum zugänglich machte. In der DDR waren viele dieser Dichter von Veröffentlichungsverboten betroffen, und Kunzes Lesungen wurden zu einem wichtigen Forum, um ihre Stimmen zu Gehör zu bringen. Besonders engagierte sich Kunze für das Werk von Jan Skácel, einem bedeutenden mährischen Lyriker, dessen Werke er über viele Jahre hinweg förderte und übersetzte.

In dem vorliegenden Band finden sich wertvolle Essays und Analysen, die Einblicke in Kunzes poetisches Schaffen sowie seine Erfahrungen in der Tschechoslowakei geben. Die politischen Umstände, die den „Prager Frühling“ in den 1960er Jahren und dessen gewaltsame Niederschlagung durch die Warschauer-Pakt-Staaten begleiteten, bildeten den Hintergrund für viele seiner Überlegungen zur Freiheit des Ausdrucks. Unter dem Titel „In der Tschechoslowakei habe ich zum ersten Mal begriffen, was das ist, Poesie“ reflektiert Kunze über die prägende Zeit und die Herausforderungen, denen er und andere Schriftsteller gegenüberstanden.

Darüber hinaus widmet sich der Band den Porträts bedeutender tschechischer Schriftsteller wie Milan Kundera und Ludvik Kundera, deren Werke und Schicksale eng mit den politischen und kulturellen Umbrüchen ihrer Zeit verknüpft sind. Der rote Faden, der sich durch die Texte zieht, ist die enge Beziehung zwischen Reiner und Elisabeth Kunze, die durch ihre gemeinsame Liebe zur Poesie und ihr gemeinsames Erleben totalitärer Regime geprägt ist.

Mit der Gründung der „Reiner und Elisabeth Kunze Stiftung“ im Jahr 2006 setzten die beiden ein Zeichen für kulturellen Austausch und die Bedeutung der Kunst. Geplant ist, ihr Wohnhaus nach ihrem Tod in einen Ort der Begegnung und des kulturellen Dialogs zu verwandeln. Der Band schließt mit einem Ausblick auf diese Vision, die die Lebensgeschichte und das literarische Erbe der Kunzes zusammenführt.

„Ich habe die tschechische Sprache geheiratet“ ist nicht nur eine Hommage an die tschechische Poesie, sondern auch ein eindrucksvolles Zeugnis einer außergewöhnlichen Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Der zweisprachige Band