Auf der Suche nach einer aufgeklärten Gesellschaft – Jörg Späters Betrachtungen zur Bundesrepublik**

In seinem Buch „Adornos Erben. Eine Geschichte der Bundesrepublik“ begibt sich der Autor Jörg Später auf eine tiefgreifende Erkundung der geistigen und politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wird deutlich, dass die Suche nach einer besseren Gesellschaft, die von den Nachfolgern Theodor W. Adornos und der Frankfurter Schule angestrebt wurde, von vielen Herausforderungen geprägt ist.

Adorno, der als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts gilt, stellte grundlegende Fragen zur menschlichen Existenz und der Gesellschaft nach den Gräueltaten des Nationalsozialismus. Seine Überlegung, ob ein Leben nach Auschwitz überhaupt möglich sei, zeigt die tiefe Verunsicherung und das Trauma, das die deutsche Nachkriegsgesellschaft prägte. Später reflektiert diese Problematik und stellt fest, dass Adornos Gedankengut auch Jahrzehnte nach seinem Tod nicht an Relevanz verloren hat. Stattdessen wird in der heutigen Zeit erneut spürbar, wie wichtig es ist, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um eine aufklärerische Gesellschaft zu fördern.

Später gelingt es, die komplexen Gedanken und Theorien Adornos in einen journalistischen Erzählstil zu überführen, der den Leser fesselt und zum Nachdenken anregt. Mit einem Hauch von Ironie berichtet er über die Rezeption von kulturellen Arbeiten, wie etwa Alexander Kluges Film „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“. Diese Anekdoten sind nicht nur unterhaltsam, sie verdeutlichen auch, wie schwierig es für avantgardistische Werke war, im mainstream-orientierten Deutschland der 1970er Jahre Gehör zu finden.

Ein zentrales Thema in Späters Werk ist die Bedeutung der Shoah für die Entstehung der Frankfurter Schule und deren Nachfolger. Er zeigt auf, dass viele Denker, die die sozialistische Idee propagierten, die spezifische jüdische Identität ihrer Vorgänger oft ignorierten. Dies führt zu einem blinden Fleck in der politischen Analyse, die den Holocaust nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Einsicht wird unterstrichen durch ein Zitat des Politikwissenschaftlers Alfons Söllner, der die Diskrepanz zwischen dem intellektuellen Erbe und der jüdischen Herkunft der politischen Emigranten thematisiert.

Die Diskussion um die Frankfurter Schule wird von Später als ein Erbschaftsstreit dargestellt. Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Adorno und Jürgen Habermas werden klar herausgearbeitet. Während Habermas eine rationale und optimistische Sicht auf die Möglichkeit einer besseren Gesellschaft vertritt, schätzt Adorno das Ungewisse und das Komplexe des menschlichen Daseins. Diese Divergenz spiegelt sich in den Entwicklungen der Frankfurter Schule wider, die nach Adornos Tod einen pragmatischeren Kurs einschlug.

Später führt den Leser auch durch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, die seit den 1970er Jahren in Deutschland stattfanden. Er thematisiert die hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre, die eine Reform des Bildungssystems zum Ziel hatten, um eine sozial gerechtere Gesellschaft zu fördern. Hierbei wird deutlich, dass die Hoffnung auf eine wahre Freiheit stets von der Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse überschattet war. Die Frage, weshalb das Proletariat nicht gegen die bestehenden Machtstrukturen aufbegehrt, wird als zentrales Problem der sozialistischen Bewegung eingeführt.

Im Verlauf des Buches wird der Leser mit der ernüchternden Erkenntnis konfrontiert, dass viele der Hoffnungen, die in den sozialen Wandel gesetzt wurden, nicht erfüllt wurden. Jörg Später zeichnet ein realistisches Bild der gegenwärtigen politischen Lage, in der reaktionäre Tendenzen zunehmend die Oberhand gewinnen. Der schleichende Verlust an Aufklärung und die Rückkehr autoritärer Denkmuster werden als beunruhigende Entwicklungen thematisiert.

Abschließend lässt sich sagen, dass Späters Werk ein eindringlicher Aufruf zur kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart ist. Es fordert dazu auf, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und sich aktiv für eine aufgeklärte und gerechte Gesellschaft einzusetzen. „Adornos Erben. Eine Geschichte der Bundesrepublik“ ist somit nicht nur ein Rückblick auf die intellektuellen Strömungen Deutschlands, sondern auch ein Appell, die Suche nach dem Besseren nicht aufzugeben.