In den letzten Jahren ist das Interesse an der ukrainischen Literatur in Deutschland stark angestiegen, insbesondere im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der Ukraine. Der russische Überfall auf das Land hat dazu geführt, dass viele Menschen sich intensiver mit der ukrainischen Kultur und ihrer Literatur auseinandersetzen. Während zunächst vor allem moderne Werke im Fokus standen, gewinnt auch die klassische ukrainische Literatur zunehmend an Beachtung. In diesem Kontext ist die verspätete Veröffentlichung der Anthologie „Dichtung der Verdammten“ von Oswald Burghardt von großer Bedeutung. Diese Sammlung widmet sich den ukrainischen Neoklassikern der 1920er Jahre und beleuchtet gleichzeitig die oftmals unbekannten deutsch-ukrainischen Kulturbeziehungen.
Oswald Burghardt, auch bekannt unter dem Pseudonym Jurij Klen, war ein herausragender ukrainischer Dichter, Übersetzer und Essayist, der 1891 in Podolien geboren wurde, einer Region, die heute zur Ukraine gehört. Seine Familie hatte deutsche und deutschbaltische Wurzeln, und er verfasste Werke in Ukrainisch, Deutsch und Russisch. Burghardt war nicht nur ein bedeutender Dichter, sondern auch ein entscheidender Vermittler für die ukrainische Literatur im deutschsprachigen Raum. In der von ihm 1947 zusammengestellten Anthologie wollte er seinen literarischen Weggefährten ein Denkmal setzen und ihre Werke einem breiteren Publikum zugänglich machen.
Die Anthologie enthält Gedichte von fünf prominenten Neoklassikern: Maksym Rylksyj, Pawlo Fylypowytsch, Mykola Serow, Mychajlo Draj-Chmara und Burghardt selbst. Diese Dichter schrieben in einer Zeit, in der das Ukrainische in der Sowjetunion offiziell gefördert wurde. Die bolschewistische Regierung hatte 1923 damit begonnen, regionale Sprachen und Kulturen zu unterstützen, um die kulturellen Eliten der Nationalrepubliken für den jungen sowjetischen Staat zu gewinnen. Diese Periode wurde für die ukrainische Kultur zunächst zu einem Segen, da sie erst 1876 durch Zar Alexander II. die öffentliche Verwendung der ukrainischen Sprache untersagt worden war.
Die Neoklassiker orientierten sich in ihren Werken stark an europäischen und antiken Klassikern. Ihre Poesie war urban und intellektuell, geprägt von intertextuellen Bezügen und modernen Strömungen, insbesondere der französischen und russischen Literatur. Sie verwendeten traditionelle Formen wie Sonette und Terzinen und strebten an, Weltliteratur ins Ukrainische zu übersetzen. Politisch distanzierten sie sich jedoch von den aktuellen Geschehnissen und wurden dafür von den sowjetischen Behörden kritisiert, die ihnen vorwarfen, sich nicht für den Aufbau einer neuen Gesellschaft einzusetzen.
Mit dem Wandel der sowjetischen Kulturpolitik gegen Ende der 1920er Jahre wurden viele der Neoklassiker inhaftiert oder getötet. Burghardt konnte 1931 rechtzeitig mit seiner Familie die Sowjetunion verlassen und sich in Deutschland niederlassen. Tragischerweise erlitten viele seiner Freunde ein grausames Schicksal. Während Burghardt in der Emigration über die ukrainische Literatur lehrte und schrieb, wurden seine Kollegen Opfer der Repressionen.
Die Anthologie „Dichtung der Verdammten“ blieb bis vor kurzem unveröffentlicht, da Burghardts Manuskript im Privatarchiv seines Sohnes aufbewahrt wurde. Dank der Herausgeber Nataliia Kotenko-Vusatiuk und Andrii Portnov wurde diese Sammlung nun nach vielen Jahren zugänglich gemacht. Sie haben die Gedichte nicht nur ins Deutsche übersetzt, sondern auch informative Einführungen und biografische Skizzen zu den Autoren hinzugefügt. Diese sorgfältige Editionsarbeit ermöglicht es den Lesern, die Poesie der Neoklassiker sowohl im Original als auch in der deutschen Übersetzung zu erleben.
Die Veröffentlichung dieser Anthologie ist von großer kultureller Relevanz, da sie nicht nur einen Einblick in die Werke der Neoklassiker bietet, sondern auch auf die bedeutende Rolle hinweist, die Burghardt in der deutsch-ukrainischen Kulturgeschichte gespielt hat. Diese Sammlung leistet einen wichtigen Beitrag zur Wertschätzung und zum Verständnis der ukrainischen Literatur im deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus zeigt sie, dass trotz der politischen Umstände und der kulturellen Unterdrückung eine lebendige literarische Tradition in der Ukraine existiert hat, die es wert ist, erkundet und geschätzt zu werden.
Insgesamt stellt „Dichtung der Verdammten“ eine wichtige Brücke zwischen der ukrain