In ihrem Buch „I Don’t Know How to Draw a Tree“ führt die Autorin Carmen José die Leser auf eine faszinierende Reise durch die Konzepte von Wissen und Unwissenheit, sowie durch die Prozesse des Lehrens und Lernens. Auf poetische Weise wird hier das Dilemma eines kreativen Individuums beleuchtet, das sich mit dem Wesen des Baumes auseinandersetzt. Dieses Werk, das sowohl durch seine Worte als auch durch seine Bilder besticht, bietet eine tiefgründige Reflexion über den kreativen Schaffensprozess und die damit verbundenen Herausforderungen.
Das Buch ist auf 80 Seiten komprimiert und besteht aus einer Mischung aus Text und visuellen Darstellungen, die die Gedanken und Gefühle des Erzählenden zum Leben erwecken. Carmen José widmet ihr Werk all jenen, die den Mut haben, das Unbekannte zu umarmen. Das zentrale Thema ist der Erkenntnis- und Lernprozess eines anonymen Ichs, das versucht, einen Baum zu zeichnen. Das Ich hat die gängigen Techniken des Zeichnens erlernt – es weiß, wie man die Grenzen eines Blattes Papier respektiert, Perspektiven und Proportionen berücksichtigt. Doch trotz dieser erlernten Kontrolle empfindet es eine Entfremdung. Es wird deutlich, dass die Fähigkeit, einen Baum darzustellen, nicht nur von technischen Fertigkeiten abhängt, sondern auch von der inneren Verbindung zum Objekt und zu sich selbst.
Die Reflexion über das Zeichnen des Baumes wird zur Metapher für den kreativen Prozess allgemein. Das Ich erkennt, dass es durch zu viel Kontrolle und Distanzierung vom Gegenstand seiner Betrachtung eine Kluft zwischen sich selbst und dem Akt des Schaffens geschaffen hat. Es stellt fest, dass zu viel Abstand das Bild des Baumes vereinfacht und ihm Tiefe nimmt, während zu viel Nähe zu einer Reduktion auf Einzelheiten führt, die das Ganze nicht erfassen. Es stellt sich die Frage: Was ist die „richtige“ Art zu gestalten? Ist es das Streben nach einem objektiven, messbaren Ergebnis, das von anderen anerkannt wird? Oder ist es die Freiheit, intuitiv und emotional zu schöpfen, ohne sich den strengen Regeln des traditionellen Zeichnens zu unterwerfen?
Während das Ich sich dieser Fragen bewusst wird, beginnt es, seine eigene Entfremdung zu hinterfragen. Es bemerkt, wie die Farben aus den Seiten verblassen und die Formen auf dünne Linien reduziert werden. Diese Entfremdung ist nicht nur vom Baum, sondern auch von den eigenen Empfindungen und dem Körper spürbar. Doch in einem Moment der Selbstreflexion wird dem Ich klar, dass es sich an die grundlegenden Sinneserfahrungen erinnern muss. Es ruft sich ins Gedächtnis, dass es eine Nase hat, die atmet, und Augen, die die Welt um sich herum wahrnehmen können. In diesem Moment kehrt das Leben in die Zeichnung zurück: Die Farben leuchten wieder auf, und das Bild des Baumes entfaltet sich in seiner vollen Pracht.
Carmen José ermutigt die Leser, die Komplexität des kreativen Prozesses zu akzeptieren und die eigene Stimme zu finden. Sie lädt dazu ein, das Bedürfnis nach Kontrolle loszulassen und stattdessen kreativ zu experimentieren und sich mit anderen zu verbinden. Der Fortschritt wird neu definiert als ein Prozess des Teilens und des gemeinsamen Wachsens. Es ist eine Einladung, die eigenen Ängste vor dem Unbekannten zu überwinden und den kreativen Prozess als integrativen Teil des Lebens zu begreifen.
Das Buch stellt nicht nur Fragen zur künstlerischen Gestaltung, sondern auch zur Beziehung zwischen Mensch und Natur. Carmen José schafft es, die Trennung zwischen Subjekt und Objekt zu überwinden und zeigt, dass Kunst und Leben miteinander verwoben sind. Der Baum wird zum Symbol für das, was in uns lebt und gedeiht, und das Ich erkennt, dass es durch den kreativen Akt nicht nur etwas schafft, sondern auch beschützt wird. Der Baum, der aus dem Subjekt hervorgeht, wird zum Schutzherrn seiner Ängste und Unterschiede.
„I Don’t Know How to Draw a Tree“ ist somit nicht nur ein künstlerisches Werk, sondern auch eine philosophische Reflexion über die Essenz des Schaffens. Carmen José hat ein Buch geschaffen, das die Leser dazu anregt, ihre eigenen kreativen Möglichkeiten neu zu entdecken und zu hinterfragen. Es ist eine Einladung, die Welt mit allen Sinnen zu erleben und die Verbindung zur Natur und zu sich selbst wieder herzustellen. Dieses Werk ist ein wertvoller Beitrag zur Diskussion über die Rolle von Kunst und Kreativität in unserem Leben und bietet eine inspirierende Perspektive