In ihrem neuesten Werk „Die Umarmung des Materials“ gelingt Annette Pehnt eine faszinierende Verbindung zwischen Lyrik und bildender Kunst, indem sie in einen poetischen Dialog mit dem Musiker und Zeichner Harald Kimmig eintritt. Der Gedichtband, der als „lyrik live writing“ kennzeichnet ist, eröffnet einen neuen Zugang zur Poesie, der sowohl die Form als auch die Inhalte herausfordert und neu interpretiert.
Pehnts Gedichte sind in einem Stil verfasst, der sowohl klassische Elemente als auch spontane, improvisierte Komponenten umfasst. So beginnt das erste Gedicht mit einer fast prosaischen Beschreibung: „Müde trete ich vors Haus, schaue mich um, als sei ich noch nie hier gewesen…“. Diese einleitenden Zeilen erzeugen eine Vertrautheit, während sie gleichzeitig die Leser in eine melancholische Stimmung führen. Es wird eine innere Einsamkeit spürbar, die durch den frischen Wintermorgen verstärkt wird. Die durch den Winter erzeugte Kälte spiegelt sich nicht nur in der Bildsprache wider, sondern auch in der Struktur der Gedichte. Die Verszeilen sind oft kurz und enden mit Punkten, was den Eindruck von Nüchternheit und Klarheit verstärkt.
Pehnt hat die Fähigkeit, alltägliche Szenen und Emotionen festzuhalten, ohne sie zu romantisieren. Sie beschreibt kleine Handlungen und Momente, die oft übersehen werden, und stellt Fragen, die zum Nachdenken anregen. Diese scheinbar banalen Beobachtungen werden durch unkonventionelle Wortwahl und Motive ergänzt, die auf den ersten Blick fremd erscheinen. Sie schaffen eine neue Dimension in den Gedichten und laden den Leser ein, zwischen den Zeilen nach Bedeutungen zu suchen.
Ein zentrales Merkmal des Bandes ist die Idee des „instant writing“, das in einem dialogischen Prozess mit Kimmigs Musik entsteht. In Videos, die die kreative Zusammenarbeit dokumentieren, wird deutlich, wie die beiden Künstler in einem dynamischen Austausch stehen. Kimmigs musikalische Improvisationen auf der elektrischen Violine harmonieren mit Pehnts lyrischen Erfindungen und formen eine einzigartige Symbiose. Die Gedichte sind das Ergebnis dieser Interaktion, die die Grenzen zwischen Musik und Literatur verwischt.
Der künstlerische Prozess, der in „Die Umarmung des Materials“ abgebildet wird, ist nicht nur eine kreative, sondern auch eine verletzliche Praxis. Während die Musik improvisiert wird, bleibt das geschriebene Wort oft ungeschützt und nicht zurücknehmbar. Diese Qualität verleiht der Lyrik einen besonderen Reiz, da sie die Leser in ihre Entstehung einbezieht. Die Gedichte entfalten sich wie eine Schichtung, wobei jede Zeile und jedes Bild aufeinander aufbaut und neue Perspektiven eröffnet. Der Rhythmus und die Reime entstehen spontan und sind eng mit dem Moment verbunden.
Ein bemerkenswerter Aspekt der Gedichte ist die Verwendung von Satzzeichen. Pehnt setzt sie oft auf eine prosaische Weise, was den Eindruck erweckt, dass jede Zeile für sich allein steht. Dies verstärkt die Wirkung der Worte und lässt Raum für individuelle Interpretationen. Die wiederkehrenden Motive, wie das Zerfallen des Alltags oder das Streben nach Halt, geben dem Werk eine kohärente Struktur, die trotz der experimentellen Form eine persönliche Handschrift offenbart.
Die Zeichnungen von Harald Kimmig, die die Gedichte visuell begleiten, verstärken die improvisierte Ästhetik des Buches. Sie sind feingliedrig und punktiert, was eine zusätzliche Dimension zu Pehnts Texten hinzufügt und die Interaktion zwischen den Disziplinen unterstreicht. Diese visuelle Komponente macht das Werk nicht nur zu einer literarischen, sondern auch zu einer künstlerischen Erfahrung.
Insgesamt ist „Die Umarmung des Materials“ ein eindrucksvolles Beispiel für die Verschmelzung von Poesie und anderen Kunstformen. Annette Pehnt und Harald Kimmig laden die Leser ein, sich auf einen kreativen Prozess einzulassen, der sowohl herausfordernd als auch bereichernd ist. Es ist ein Werk, das die Möglichkeiten der Lyrik neu definiert und den Dialog zwischen verschiedenen Kunstformen fördert.






















































