Die Wiederbelebung der Lectura Dantis: Dantes Erbe im zeitgenössischen Dialog**

Die „Lectura Dantis“ ist ein faszinierendes Projekt, das eine jahrhundertealte Tradition aufgreift und sie in einen modernen Kontext überführt. Diese Form des öffentlichen Lesens und Kommentierens von Dantes „Göttlicher Komödie“ geht auf Giovanni Boccaccio zurück, der 1373 in Florenz mit seinen Vorlesungen begann. Diese Praxis, die es Menschen ermöglicht, die komplexen Themen und Strukturen Dantes zu erfassen, hat sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit.

Boccaccio selbst kam bei seinem Tod nur bis zum XVII. Gesang des Inferno, der den berühmten Flug auf dem Rücken des Monsters Geryon beschreibt. Nach seinem Tod erlebte die Dante-Lektüre im Humanismus und der Renaissance verschiedene Versuche der Fortführung, doch erst im 19. Jahrhundert erlebte Dantes Werk eine breite Wiederentdeckung, insbesondere im Kontext der Romantik. 1899 wurde die moderne „Lectura Dantis“ in Florenz wiederbelebt, und seither hat sich diese Tradition auf andere europäische Länder ausgeweitet, mit Institutionen wie der „Lectura Dantis Turicensis“ an der Universität Zürich und der „Lectura Dantis Andreapolitana“ in Schottland.

Anlässlich des 700. Todestages Dantes wurde 2009 die „Lectura Dantis Bononiensis“ ins Leben gerufen, in deren Rahmen wissenschaftliche und allgemein verständliche Kommentare in drei Bänden zu Dantes Werk erstellt wurden. Ein ähnliches Vorhaben gab es in Kalifornien, wo die „California Lectura Dantis“ die englische Übersetzung von Allen Mandelbaum kommentierte. Diese Projekte zeigen, wie Dantes Werk weiterhin sowohl akademisches Interesse als auch eine breitere Leserschaft anzieht.

Im deutschsprachigen Raum ist die „Lectura Dantis“ eine Neuschöpfung, die vor allem von Theresia Prammer, der Herausgeberin des aktuellen Werkstattbands, geprägt ist. Prammer bringt seit 2019 deutschsprachige Autorinnen und Autoren zusammen, um Dantes Texte zu lesen, zu kommentieren und zu übersetzen. Ihr Ansatz ist unkonventionell und stark von persönlichem Engagement geprägt, da er weitgehend ohne institutionelle Unterstützung auskommt. Der nun veröffentlichte Werkstattband umfasst 450 Seiten und ist der erste Schritt eines langfristigen Projekts, das auf eine kollektive Gesamtübersetzung der „Commedia“ abzielt.

Der Werkstattband selbst ist ein Kaleidoskop an Übersetzungen und Kommentaren, die von über 36 verschiedenen Übersetzenden stammen. Die Vielfalt der Stimmen und Ansätze ermöglicht den Lesenden eine umfassende Auseinandersetzung mit Dantes Werk. Die Übersetzungen reichen von traditionellen bis hin zu experimentellen Formen und bieten Einblicke in die verschiedenen Perspektiven, die Dantes Texte hervorrufen können. Neben den Übersetzungen finden sich auch persönliche Reflexionen der Übersetzenden, die ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Text dokumentieren.

Das Buch ist nicht nur ein praktischer Leitfaden für die Lektüre von Dantes „Commedia“, sondern auch ein Aufruf an alle, sich am fortwährenden Prozess des Übersetzens und Kommentierens zu beteiligen. Prammer selbst verzichtet darauf, aktiv an den Übersetzungen teilzunehmen, sondern übernimmt die Rolle einer Führerin, die die Leser durch Dantes komplexe Welt leitet. In einem eindrucksvollen Nachwort thematisiert sie die Bedeutung des Projekts und die Notwendigkeit, Dantes Werk in die Gegenwart zu übersetzen.

Im Werkstattband sind zahlreiche kreative Übersetzungsansätze vertreten, die Dantes komplexe Strukturen und Themen in eine zeitgemäße Sprache übertragen. Von humorvollen und leicht zugänglichen Übersetzungen bis hin zu tiefgründigen, akademischen Analysen ist für jede Leserin und jeden Leser etwas dabei. Diese Vielfalt ist ein Beweis für die anhaltende Relevanz Dantes Werk und die unterschiedlichen Wege, auf denen es interpretiert werden kann.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Herausforderungen des Übersetzens. In einer Welt, in der Dantes „Commedia“ in mehr als zwanzig englischen Übersetzungen vorliegt, zeigt sich, dass die deutsche Übersetzungslandschaft im Vergleich dazu relativ begrenzt ist. Gerade diese Herausforderung macht die Arbeit an der „Lectura Dantis“ umso bedeutender, da sie nicht nur die Vielfalt der Übersetzungen hervorhebt, sondern auch die Notwendigkeit, Dantes Werk in seiner ganzen Tiefe und Komplexität zu verstehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass