Ein schreckliches Geheimnis

 

Maurice Leblanc

Ein schreckliches Geheimnis

 Das war der beliebteste Zeitvertreib an hässlichen Oktobertagen, wenn sich die jungen Männer und Frauen bei strömendem Regen und schlammigen Wegen nicht nach draußen
wagten. Man lud Herrn de Fourmel, den ehemaligen Staatsanwalt, zum Abendessen ein und nach dem Essen bat man ihn, etwas über seinen Beruf zu erzählen.

Er war der Beste. Seine tragische Maske eines 80-Jährigen, seine heisere, keuchende Stimme und seine glühenden Augen, die hinter den dicken Augenbrauen verborgen waren,
ließen die Zuhörer schon im Voraus erschauern. Die Art und Weise, wie er erzählte, versetzte sie in Angst und Schrecken.

Mit der Zeit erschöpfte sich sein Repertoire. Die Anekdoten wurden immer weniger interessant. Es kam sogar vor, dass er nichts
mehr zu sagen hatte. Eines Abends musste er es gestehen:

– Meine kleinen Freunde, es tut mir leid, aber ich bin am Ende meiner Kräfte.

Die Proteste wurden lauter. Man umringte ihn. Die Herren falteten die Hände. Die Damen umarmten ihn. Er wurde so lange gequält, bis er scheinbar einwilligte. Schließlich,
nach einigen Minuten des Nachdenkens, entschied er sich.

– Das ist meine letzte Geschichte, meine Kinder. Ihr selbst werdet übrigens keine Lust mehr haben, mich um eine weitere zu bitten. Es ist ein beängstigendes Drama, etwas
Fantastisches und Schreckliches, das jede Vorstellungskraft übersteigt. Es ist fünfzig Jahre her, dass es sich ereignet hat, zu Beginn meiner Karriere in der Provinz. Die Zeitungen berichteten damals nicht wie heute
über die Verbrechen, und die Tat ist kaum bekannt. Seitdem habe ich nie mehr darüber gesprochen, weil mich die Erinnerung daran so sehr beeindruckt. Meine Augen, hören Sie gut zu, meine Augen haben alles gesehen!

Und in abgehackten Sätzen, mit sehr leiser Stimme, so leise, dass man kaum etwas hören konnte, begann er:

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