Amtsrichter Johnsons Höhepunkte

 

Amtsrichter Johnsons Höhepunkte.

 von Georg Busse-Palma

Ursprünglich 1902 in Leipzig veröffentlicht bei Hermann Seemann Nachfolger

Jeder Mensch hat in seinem Leben einige Höhepunkte, die ihm bis sein seliges oder unseliges Ende unvergesslich bleiben.

Auch Ernst Alexander Johnson hatte die seinigen.

Den ersten hatte er damals erreicht, als er, der eben Amtsrichter in dem kleinen polnischen Städtchen geworden war, seine alte Studentenliebe heimführte.

Am ersten Abend, als sie beisammen sassen, schmiegten sie sich fest aneinander und blickten wortlos in ihre neue Heimat.

 

Ernst Alexander, in dem ein gefesselter Dichter lag, seufzte tief auf. Auf den Goldgrund des gegenwärtigen Glückes malten seine Träume Blüten und Kränze einer
späteren Zukunft, und das Grün der Hoffnung war überall.

Die Augen wurden ihm feucht. Er griff nach der Hand seiner Frau und küsste sie, so dass sie seine Thränen spürte.

Auch ihre Blicke waren verschwommen. Vielleicht hatte sie seine Träume mitgeträumt. Sie fuhr ihm mit den Fingern in das braune, wellige Haar.

»Wie kann man nur so weich sein,« sagte sie. »Wie kann man nur so weich sein, du Lieber?« …

 

 

Sie lebten sehr glücklich zusammen. Nur einschränken mussten sie sich, denn das Gehalt war nicht gross. Das thaten sie aber gern. Ernst Alexander trank einen Schoppen weniger
als früher, und gab nie mehr als fünf Pfennig Trinkgeld. Allmählich gewöhnte er es sich überhaupt ab, in ein Restaurant zu gehen. Wozu auch? Seine junge Frau machte es ihm daheim so behaglich wie möglich,
und dass ihn der Kronenwirt, Herr Ignatz Malczewski, nur noch obenhin grüsste, liess sich verschmerzen. Als sie dann gar noch anfing, sich mit Schneiderei zu beschäftigen und ganz winzig kleine Häubchen und
Jäckchen verfertigte, da brachte er es natürlich nicht mehr über das Herz, sie auch nur einen einzigen Abend allein zu lassen.

Es sollte aber früh genug anders werden. Nicht, dass ein Streit ihre Harmonie getrübt hätte! Aber eines Tages trat einer in ihr Häuschen, den sie beide noch in
weiter Ferne geglaubt hatten. Der präsentierte die Rechnung für das stille, reiche Glück, das sie ein volles Jahr hindurch am Tisch des Lebens genossen hatten, und die Rechnung war hoch. Frau Marianne brachte
ein totes Kind zur Welt, und drei Tage später folgte sie dem kleinen Wurm nach in die Grube.

Ernst Alexander blieb allein.

Fortan lebte er ganz einsam. Eine weiche Natur von Geburt an, schien der Verlust seines Weibes ihn ganz gebrochen zu haben.

 

»Es geht nicht so weiter mit Johnson,« sagte der »Aufsichtführende« jeden Tag. »Er vergrämt und vereinsamt immer mehr. Wir müssen etwas
thun, um ihn aus dieser Lethargie zu reissen.«

Weiterlesen »
Zur Quelle wechseln