Die Rechte

 von

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Liebesbeziehungen und deren Störungen

Um einen Menschen ganz kennenzulernen, ist es notwendig, ihn auch in seinen Liebesbeziehungen zu verstehen … Wir müssen von ihm aussagen können, ob er sich in Angelegenheiten der Liebe richtig oder unrichtig verhält, wir müssen feststellen können, warum er in einem Fall geeignet, im anderen Falle ungeeignet ist oder sein würde.
Wenn man außerdem bedenkt, dass von der Lösung des Liebes- und Eheproblems vielleicht der größte Teil des menschlichen Glücks abhängig ist, wird uns sofort klar, dass wir eine Summe der allerschwerstwiegenden Fragen vor uns haben, die den Gegenstand dieses Buches bilden.

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Hedwig Courths-Mahler

 Die Rechte.

Und Grete Lassen gefällt dir auch nicht, Rudolf?«

»Nein, Mutter.«

»Sie ist doch sehr hübsch.«

»Aber dumm.«

»Lisa Wagner war dir zu gescheit.«

»Ja, die beiden sind zu große Gegensätze. Eine dumme Frau kann ich so wenig brauchen wie eine, die klüger sein will als ich.«

»Wie ist es dann mit Lenchen Seidel?«

Rudolf Hansen stöhnte herzbrechend und warf einen komisch hilfeflehenden Blick in das liebe, gütige Gesicht seiner Mutter, das sich unter dem weißen Haar vor Eifer gerötet hatte. Seine hübschen, energischen Züge verzogen sich drollig, und in seinen Augen blitzte der Schelm.

»Ach, Herzensmutter – was hab‘ ich denn verbrochen, daß du mich dieser zimperlichen Zierpuppe ausliefern willst? Das ist eine von denen, die bei jedem verweigerten neuen Hut in Ohnmacht fallen oder Schreikämpfe kriegen. Brrr – das ist grausig. Nee, nee – laß mir meinen Frieden und quäle mich nicht mehr mit Heiratsplänen.«

»Aber du bist doch nun schon fünfunddreißig Jahre alt. Willst du denn ewig ein Junggeselle bleiben?«

»Warum denn nicht, Mutter?« antwortete Rudolf, sich rittlings auf einen Stuhl setzend und die liebe, alte Dame so recht verschmitzt und behaglich anstrahlend. »Ich befinde mich doch ganz famos dabei. Du hältst das Hauswesen tadellos imstande, meine Freunde und Bekannten beneiden mich und kommen am liebsten zu uns, weil du so viel Behaglichkeit um dich verbreitest. Mit keinem andern weiblichen Wesen würde ich mich so gut verstehen wie mit dir.«

Die Mutter sah halb zärtlich, halb bekümmert in sein gebräuntes, frisches Gesicht.

»Denk‘ doch an später, Rudolf, wenn ich mal nicht mehr bin. Bald bin ich sechzig Jahre alt. Und ganz offen – ich sehne mich nach Ruhe. Der große Haushalt fordert Kräfte, gerade weil du gern Gäste bei dir siehst. Wir haben immer ein gastfreies Haus geführt, und das sollst du auch tun. Aber ich schaffe es nicht mehr allein.«

»So nimm dir doch eine tüchtige jüngere Kraft, die dir das schwerste abnimmt.«

»Ach, geh‘ mir mit bezahlten Leuten. Das ist nichts. Ich habe schon mit den Bediensteten genug Ärger. Nein, nein, eine junge Frau muß ins Haus, das ist die natürliche Lösung. Es gibt so viel nette Mädchen. Aber an allen hast du auszusetzen. Du mußt dir doch auch sagen, daß es die Pflicht eines jeden gesunden, vernünftigen Mannes ist, eine Familie zu gründen. Reich genug bist du, um wählen zu können, wie es dein Herz verlangt. Soll denn mit dir deine Familie aussterben? Wem willst du mal dein Vermögen, deine Fabrik, dies liebe alte Haus hinterlassen? Sollen fremde Menschen die Früchte des Fleißes ernten, die unter deinen und deines Vaters Händen gereift sind?«

Rudolfs Gesicht war sehr ernst geworden. Er fuhr sich über die Stirn, als wollte er etwas fortwischen.

»Heute machst du mir besonders warm, Mutter.«

»Muß ich nicht? Du hörst ja nie auf mich in dieser Angelegenheit. Es ist ein Kreuz mit deiner Ehefeindlichkeit.«

»Ein Ehefeind bin ich nicht, Mutter, aber ich – ach – quäle mich doch nicht.«

Er sprang auf und ging unruhig auf und ab.

Die alte Dame ließ sich seufzend in ihren Lehnstuhl am Fenster nieder.

»Nein, mein Junge – quälen will ich dich nicht.«

Er streichelte ihre Hände.

»Sieh nicht so sorgenvoll aus,« bat er herzlich.

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Wenn dir nur ein einziges Mal ein Mädchen gefallen wollte. Aber dir ist wohl noch nie eine begegnet, an der du nichts auszusetzen gehabt hättest.«

Rudolf sah mit einem ernsten Blick in ihre liebevoll forschenden Augen. Dann sagte er zögernd:

»Doch Mutter, einmal ist mir eine begegnet, die hätte ich vom Fleck weg geheiratet – aber sie entschwand aus meinem Leben so schnell, daß ich sie nicht halten konnte. Und ich kenne nicht einmal ihren Namen und ihren Aufenthalt. Aber vergessen kann ich sie nicht. Nein, nein – erschrick nicht – an gebrochenem Herzen sterbe ich nicht – so romantisch ist die Sache nicht. Aber siehst du, trotzdem sie mir nur so über den Weg gelaufen ist – sie gefiel mir so gut wie keine andere vorher und nachher. Und alle muß ich mit ihr vergleichen.«

Die alte Dame streichelte erschrocken seinen Arm.

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