AN DEN UFERN DER DURME

 

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Liebesbeziehungen und deren Störungen

Um einen Menschen ganz kennenzulernen, ist es notwendig, ihn auch in seinen Liebesbeziehungen zu verstehen … Wir müssen von ihm aussagen können, ob er sich in Angelegenheiten der Liebe richtig oder unrichtig verhält, wir müssen feststellen können, warum er in einem Fall geeignet, im anderen Falle ungeeignet ist oder sein würde.
Wenn man außerdem bedenkt, dass von der Lösung des Liebes- und Eheproblems vielleicht der größte Teil des menschlichen Glücks abhängig ist, wird uns sofort klar, dass wir eine Summe der allerschwerstwiegenden Fragen vor uns haben, die den Gegenstand dieses Buches bilden.

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Georges Eekhoud

AN DEN UFERN DER DURME

An Eugène Demolder.

Wie süß war die Akkordeonmusik am Ufer des flämischen Flusses an diesem heißen Sonntagnachmittag!

Es war am Ende von Hamme, in der Nähe der Brücke, als wir auf einer Bank vor der Tür des Gasthauses saßen.

Wie wäre es mit Bier? Ich trank etwas ganz anderes.

Die Durme bei Ebbe, silbern von der Sonne; so silbern, dass selbst der Schlick leuchtend und metallisch aussah. Flussabwärts drehte sich ein knusprig mit Ocker und Blau bemalter Kahn langsam um die eigene Achse und wartete wie betäubt auf die Rückkehr der Flut. Noch weiter unten am Horizont war ein kleines braunes Segel zu sehen. Und den ganzen Treidelpfad entlang, auf dem Deich, standen Erlen, die ein wenig falsch, aber so väterlich waren. Welche grasbewachsenen Böschungen, welche Aussicht auf Wiesen, durchzogen von Baumvorhängen, mit frischem, neuem Gras, goldenen Blumen oder goldenen Blüten wie die Wiesen auf mystischen Bildern, auf denen das Osterlamm grast.

Der von Bäumen gesäumte Weg ist sehr günstig und schattig, aber wenn die Zeit gekommen ist, die Themse zu gewinnen, wird es noch schöner sein, den mäandernden Fluss entlang zu gehen und dabei dem Hirtentrio der Lerche, des Pirols und des Kuckucks zuzuhören, oder besser gesagt, so zu tun, als ob ich ihnen zuhöre, denn was ich hören werde, selbst wenn ich ihn weit hinter mir gelassen habe, in Entfernungen, in denen die Akzente seiner armen Lungen längst verklungen sind, wird das singende Akkordeon sein, am Ufer des cremigen und trägen Flusses, am Ufer der Durme, das seinen warmen Schlaf des Sonntagnachmittags gibt. …

Denn dieser Halt an der Brücke war der Höhepunkt, das meisterhafte Abenteuer des Tages.

Jede Reise, jeder Urlaub, jeder Exodus unseres armen Wesens auf der Suche nach Vergnügen oder Vergessen hat eine Hauptphase, eine Zeit absoluter Pracht und Faszination, ein Zentrum der Emotionen, auf das alle anderen Stunden und Bewegungen unserer Wanderungen zusammentreffen. Aber dient nicht die gesamte Anstrengung des Lebens dazu, einen verhängnisvollen Gedanken und eine verhängnisvolle Handlung hervorzubringen? Der edelste Körper verewigt sich in einer einzigen Geste, die Seele nimmt nur ein einziges Mal Anlauf in die Unendlichkeit, und die leidenschaftlichste Liebe wird in einem Krampf zusammengefasst, der tragischer ist als der Blitz.

Der denkwürdige Moment dieses Tages – nein, der wichtigste Moment meines Lebens – ereignete sich, als wir auf der Bank des Gasthauses am Ufer des schlafenden Flusses Durme saßen.

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